Das Zimmer

Vorbemerkung: Diese Geschichte (wenn man sie denn so nennen will), geht auf meinen letzten Krankenhausaufenthalt zurück, genauer gesagt, die Tage und Nächte vom 16. – 18. Februar, welche unmittelbar an meine Operation anschlossen und die ich in einem bestimmten Zimmer alleine verbracht habe. Es ist eine Art Reminiszenz, was jedoch nicht bedeutet, daß ich mich gerne erinnere…

für was soll denn die zeit gut sein, wenn sie nicht vergeht? und vergehen tut sie nicht, nicht jetzt, nicht hier, in diesem verfluchten zimmer.

wieder schließe ich die augen. es wird nicht besser. kleine schwarze striche hüpfen auf weißem grund, sie zappeln, wandern, kreisen, ständig in bewegung. warum können sie nicht einmal ruhig sein?

denn da ist diese uhr an der wand. sie ist echt, modell bahnhofsuhr. und nach dem ersten eindruck benimmt sie sich auch wie eine solche. doch erste eindrücke können trügen. die zeiger machen sich selbständig.

ihr seid doch nur die uhrzeiger, will ich ihnen zurufen, doch ich weiß, es wird nichts nützen. uhrzeiger zappeln nicht so herum, das wisst ihr doch. nein, sie wissen es nicht.

sie haben eine botschaft für mich. in absprache mit dem dreimal verfluchten bild an der wand rufen sie mir zu „lach doch mal“. das finde ich nicht lustig. die buchstaben auf dem bild, die diese botschaft vermitteln, haben ohnehin schon nicht den richtigen abstand voneinander, warum soll ich ihnen vertrauen schenken? sie wollen mir nur böses. zum beispiel, dass ich nicht schlafen kann.

ich habe längst vergessen, was schlafen bedeutet. es muss etwas mit der zeit und den uhrzeigern zu tun haben. mit der zeit, die nicht vergeht, und den zeigern, die sich einerseits viel zu schnell, aber nicht richtig bewegen, andererseits viel zu langsam, wenn überhaupt.

auch auf diesem bild, das unterhalb der uhr hängt, sind zeiger zu sehen. sie kommen als buchstaben daher. das ist eine täuschung. darunter ist ein ekliges grinsegesicht, das fast nur aus zähnen besteht. dies ist das einzige, was ich in diesem verfluchten zimmer wirklich erkenne und das hilft mir nicht weiter, ganz im gegenteil. und sie schleudern mir ihr „lach doch mal“ entgegen, immer und immer wieder.

das zimmer nennt sich ja offenbar nicht umsonst wachzimmer, anscheinend ist man hier gezwungen, wachzubleiben, vielleicht gibt es sogar ein schlafverbot; sollte dem so sein, so ist die einhaltung desselben jedenfalls auf eine sehr raffinierte weise garantiert.

nein, es heißt nicht wachzimmer, es heißt überwachungszimmer, was das ganze aber nicht besser macht, im gegenteil. ich verstehe ja, ein wenig überwachung muss sein, aber in diesem ausmaß? reicht es euch nicht, blutdruck und herzfrequenz zu kontrollieren? schlafentzug ist folter, habe ich mal gelesen, das scheint zu stimmen. aber vielleicht wissen sie gar nicht, was sie hier tun? ist es etwa das zimmer selber, dem es nicht gefällt, wenn man in ihm schläft? das scheint mir die plausibelste erklärung zu sein, doch den sinn verstehe ich nicht.

ich muss irgendwann doch, entgegen dem verbot, eingeschlafen sein, denn die uhrzeiger stehen nun anders. eine aussage über die zeit ist dennoch nicht möglich. vergeht sie? oder läuft sie sogar rückwärts? am wahrscheinlichsten erscheint mir, dass sie irgendwie hin und her springt, ohne auf ein ziel zuzusteuern, welches ja eigentlich nur der morgen sein könnte, doch davon ist nichts zu erkennen.

ich versuche mich von dem verdammten bild abzuwenden, ich schreie innerlich „halt die fresse“ oder so ähnlich, lieber will ich mich auf die wimmelnden und zappelnden kleinen uhrzeiger an der decke konzentrieren, die sind zwar extrem lästig, aber ärgern mich nicht so sehr.

ist es das künstliche licht der ungefähr 100 monitore, die hinter und neben mir stehen, welches diese erscheinungen verursacht? ich muss mal mit jemandem darüber reden, der sich auskennt. und ich will wissen, warum dieses zimmer offenbar als folterkammer eingerichtet ist. aber wann soll ich das tun? wird es jemals morgen werden? werde ich jemals wieder schlafen – und vergessen – können?

Ein Gedanke zu „Das Zimmer“

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